Kurt Bodewig Bundesminister a.D.

Die maritime Wirtschaft als Katalysator der Globalisierung

16.11.2007

Sehr verehrte Damen und Herren, gerne bin ich Ihrer Einladung zur Fachkonferenz „Zukunft Maritim“ in meiner neuen Funktion als EU maritimen Botschafter gefolgt. Sie hätten kaum einen besseren Ort, als hier in der Hansestadt Wismar wählen können. Nicht nur aufgrund der Historie, als Mitglied der Hanse, sondern auch aufgrund der guten Lage zu einem der Wachstumsmärkte in naher Zukunft.

Der Ostseeraum wird wegen der stark steigenden Wirtschaft der Osteuropäischen Staaten an Bedeutung zunehmen. Die deutsche maritime Wirtschaft kann von dieser Entwicklung profitieren, wenn sie sich der Herausforderung durch den steigenden Fachkräftemangel annimmt. Das Thema dieser Fachkonferenz und die Inhalte der Arbeitskreise sind ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

Bedeutung der Seeschifffahrt für die Weltwirtschaft

Lassen Sie mich nun ein paar Worte über die Bedeutung der Seeschifffahrt für die Weltwirtschaft erzählen. Über 90 Prozent des weltweiten grenzüberschreitenden Warentransports erfolgt heute auf den Seeweg. Die maritime Wirtschaft ist mehr als nur Reaktionsbeschleuniger der Globalisierung. Sie ist die Grundlage für den internationalen Warenverkehrs und damit Motor der Weltwirtschaft.

Die Bedeutung der Container-Schifffahrt

Unter den Begriff Globalisierung verstehen wir heute vor allem den stark zugenommenen internationalen Warenaustausch, sowie die immer stärkere Arbeitsteilung von Prozess- und Produktionsabläufen. Möglich geworden ist dies durch deutlich gesunkene Transportpreise. So betragen die Transportkosten im Durchschnitt nur noch ein Prozent des Warenwertes. Die Entwicklung des standardisierten Containers vor etwa 50 Jahren hat eine deutliche Effizienzsteigerung beim Löschen der Waren möglich gemacht. So sind hypermoderne Containerterminals, wie der Container Terminal Altenwerder entstanden, die innerhalb von nur 48 Stunden eine Containerschiff mit über 7.400 Container löschen. Zwischen 85 und 95 Prozent des weltweiten Frachtvolumens werden über Containerschiffen abgewickelt. Seit 1980 hat sich der Containerhandel verfünffacht und wächst damit dreimal so schnell wie der Welthandel. Die Globalisierung in der Form, wie wir sie heute erleben, wäre ohne die Containerschifffahrt undenkbar.

Bedeutung des Seehandels für die deutsche Wirtschaft

Die meisten deutschen Großunternehmen tätigen einen hohen Prozentsatz ihres Absatzes in Märkten, die über den Seeweg beliefert werden. Für ihr Exportgeschäft und damit für einen Erhalt der Produktionsstätten in Deutschland sind sie auf eine leistungsfähige maritime Wirtschaft angewiesen.

Die maritime Wirtschaft in Deutschland zählt mit 400.000 Beschäftigten und einem Umsatzvolumen von mehr als 50 Mrd. Euro jährlich zu den wichtigsten und fortschrittlichsten Wirtschaftszweigen in Deutschland. Sie stellt ein Garant für zukunftsträchtige Arbeitsplätze dar. Die deutsche Schiffbauindustrie ist Nummer eins in Europa und Nummer vier weltweit. Knapp 400 deutsche Handelsschifffahrtsgesellschaften kontrollieren über 2.600 Schiffe. Deutsche Schiffsbetreiber kontrollieren über 30% der weltweiten Containerkapazität und nehmen damit die führende Stellung im wichtigen Containerschiffbereich ein.

Entwicklungsprognosen des Seehandels

Die globale Wirtschaft ist stark arbeitsteilig geworden und der Trend setzt sich fort. In Zukunft hängen Produktionsstandortentscheidungen neben niedrigen Lohnkosten und dem Grad der Ausbildung immer stärker von einer funktionstüchtigen Transportinfrastruktur ab. Die Verbesserung von Transport und Logistik ist daher ein wesentlicher Impulsfaktor für Wirtschaftswachstum und Beschäftigung.

Die im April 2007 vom BMVBS vorgelegt Seeverkehrsprognose geht bis 2025 von einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate des Umschlagsaufkommens der deutschen Häfen von 3,6 Prozent aus. Wobei der See-Ausgang deutlich schneller als der See-Eingang wachsen wird. Die Wettbewerbssituation der deutschen Häfen wird in Zukunft, aufgrund der guten Lage zu den Wachstumsmärkten in Osteuropa besser eingeschätzt. Treibende Kraft für die Entwicklung ist und bleibt das Wachstum des Containerverkehrs. Am stärksten wird sich das Umschlagsaufkommen in Bremerhaven und Hamburg entwickeln. Eine wichtige Rolle bei der Entwicklung des Umschlagsaufkommens spielt auch der Seehafenhinterlandsverkehr.

Auch der Außenhandel der Europäischen Union wird in den nächsten Jahren stetig steigen. Laut einer Studie des HWWI soll der Außenhandel bis 2030 jährlich um 6,6 Prozent steigen. Da heute schon 90 Prozent des Außenhandels der EU über den Seeweg abgewickelt werden, hat dies zur Folge, dass das Volumen der Seetransporte bis 2030 insgesamt um 125% zunehmen wird. Aber auch im EU Binnenhandel spielt der Warentransport über den Seeweg mit knapp 40 Prozent in Tonnen-Kilometern eine wichtige Rolle. Die maritime Wirtschaft spielt eine entscheidende Rolle für die Entwicklungsmöglichkeiten der europäischen Wirtschaft.

Vorstellung Blaubuch

Die Entwicklungsprognosen des Seehandels stellen eine große Herausforderung für alle Beteiligten dar. Die Europäische Kommission hat dies erkannt und eine umfassende Konsultation einer integrierten Meerespolitik eingeleitet. Meine Funktion als EU maritimer Botschafter ist es, diesen Prozess bei den Stakeholdern vorzustellen.

Bisher wurden die verschiedenen meeresbezogenen Aktivitäten und Maßnahmen im Wesentlichen sektorbezogen verwaltet. Die integrierte Meerespolitik der Europäischen Union wird die Art der Politikgestaltung und Entscheidungsfindung in den meeresbezogenen Bereichen verändern. Diese Politik basiert auf der Einsicht, dass alle Fragen, die die Ozeane und Meere betreffen, miteinander verbunden sind, und dass die Entwicklung meeresbezogener Maßnahmen auf koordinierte Weise erfolgen muss. Nur so können wir die gewünschten Ziele erreichen. Deswegen sollen gemeinsame Instrumente zur Nutzung von Synergien und zur Vermeidung von Konflikten entwickelt werden.

Die neue Politik einer integrierten Meerespolitik für die Europäische Union wird auf Europas Stärken in den Bereichen Meeresforschung, Technologie und Innovation aufbauen. Wachstum und Entwicklung sollen nicht auf Kosten der ökologischen Nachhaltigkeit gehen.

Das von der Kommission vorgeschlagene Blaubuch „eine integriere Meerespolitik für die Europäische Union“ wird die Art, wie wir Politik gestalten und Entscheidungen treffen, verändern. Eine auf die einzelnen Sektoren beschränkte Politikgestaltung und Entscheidungsfindung ist nicht mehr zeitgemäß. Es geht darum, Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Bereichen zu verstehen und zu berücksichtigen. Gemeinsame Instrumente zu entwickeln, Synergien zu erkennen und zu nutzen und Konflikte zu meiden oder zu lösen. Die Kommission wird dazu ein Arbeitsprogramm auszuarbeiten und umzusetzen.

Wichtigsten Maßnahmen aus dem Blaubuch

Die EU Kommission setzt dabei ihren Schwerpunkt auf verschiedene Projekte. Die wichtigsten Projekte sind dabei ein europäischer Seeverkehrsraum ohne Hindernisse, ein europäisches Netzwerk maritimer Cluster, die Entwicklung einer Hafenpolitik und die Herausforderung des steigenden Fachkräftemangels in der maritimen Wirtschaft.

Die Schifffahrt ist für den Binnen- und Außenhandel der EU lebenswichtig. Schiffe sind und bleiben das energiesparendste und umweltfreundlichste alle Transportmittel. Dennoch wird die Schifffahrt gegenüber anderen Verkehrsmittel benachteiligt. Deswegen wird die Kommission einen europäischen Seeverkehrsraum ohne Hindernisse vorschlagen. Durch Vereinfachung der Verwaltungs- und Zollformalitäten für maritime Beförderungsleistungen innerhalb der EU soll die Benachteiligung des Seeverkehrs gegenüber anderen Verkehrsträgern beendet werden.

Der maritime Sektor Europas ist ein Global Player. Um diesen Status zu erhalten, müssen Europas maritime Stakeholder die Möglichkeit zur gegenseitigen Stärkung bestmöglich ausschöpfen. Die Kommission wir die Herausbildung von sektorübergreifenden Clustern und regionalen maritimen Spitzenzentren unterstützen. Dadurch soll ein europäisches Netzwerk maritimer Cluster gefördert werden. Mit Hilfe dieser Cluster kann gemeinsam auf Aspekte des Umweltschutzes und der Wettbewerbsfähigkeit angemessen eingegangen werden.

Die europäischen Seehäfen sind ein entscheidendes Glied in der Logistikkette, von der die europäische Wirtschaft abhängig ist. Um der steigenden Nachfrage gerecht zu werden, müssen gerade die Seehäfen große Herausforderungen bewältigen. Die Kommission wird eine neue Hafenpolitik vorschlagen, die die Multifunktionalität der Häfen vor dem Hintergrund der europäischen Logistik und der Ziele hinsichtlich des Umweltschutzes berücksichtigt. Weiter will die Kommission Vorschläge zur Reduzierung der durch Schiffe verursachten Luftverschmutzung in Häfen vorlegen. Insbesondere durch den Abbau steuerlicher Nachteile für die Landstromversorgung.

Die geringe Qualität der Hafenhinterlandanbindungen wird sich negativ auf die Entwicklung des Seehandels auswirken. Ein Ausbau der Hafenhinterlandanbindungen muss in die Planungen der Hafenpolitik mit einbezogen werden.

Die meeresbezogenen Sektoren bieten rund 5 Millionen Arbeitsplätze in ganz Europa. Die maritime Wirtschaft ist ein Garant für zukunftsträchtige Arbeitsplätze. Dem drohenden Fachkräftemangel gilt es aktiv entgegenzuwirken. Es gibt nur halb so viele Hochschulabsolventen und hochqualifizierte Facharbeiter wie benötigt. Die Kommission will ein „Certificate of Maritime Excellence“ fördern, um die Fähigkeiten und Kompetenzen von Seefahrern zu fördern. Durch die Bildung maritimer Cluster soll die Ausbildung unterstützt und somit zukünftige Arbeitskräfte für maritime Berufe gewonnen werden.

Die Europäische Kommission will mit dem Blaubuch die Zukunftsfähigkeit der europäischen maritimen Wirtschaft sichern. Dies soll im Einklang mit den natürlichen Ressourcen geschehen.