Kurt Bodewig Bundesminister a.D.

Plenarrede zur Debatte um die EU-Dienstleistungsrichtlinie

26.01.2006

Heute konnten wir lesen, dass laut Eurobarometer mittlerweile 64 Prozent der Deutschen die europäische Einigung als negative Entwicklung ansehen. Bei Themen wie der Dienstleistungsrichtlinie manifestieren sich entsprechende Ängste.

Ich glaube, wir alle sind gut beraten, wenn wir solche Sorgen sehr ernst nehmen. Ich will die Gelegenheit nutzen, einige Punkte klarzustellen. Die SPD-Bundestagsfraktion unterstützt die Weiterentwicklung der Europäischen Union. Wir halten diese auch im Interesse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie der Bürgerinnen und Bürger für notwendig. Wir sind aber sehr skeptisch, wenn in der Europäischen Union falsche Instrumente entwickelt und zum Handlungsprinzip erhoben werden.

Deswegen sage ich: Wir sind für die Öffnung von Dienstleistungsmärkten, aber gegen die Bolkestein-Richtlinie, weil damit der falsche Weg eingeschlagen wird und die Ängste in Deutschland wie in allen anderen Mitgliedstaaten der EU weiter verstärkt werden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)

Herr Zeil, ich will kurz auf Sie zurückkommen. Sie kennen wahrscheinlich andere kleine und mittelständische Unternehmen als die, mit denen meine Kollegen in ihren Wahlkreisen zu tun haben. Es mag sein, dass Sie zum Handwerk einen anderen Zugang haben. Ich kann Ihnen nur sagen, dass die Rechtsanwälte geschützt sind. Aber sie bilden nicht den Mittelstand. Schauen Sie sich also die Situation sehr genau an!

Auch in Ihrem Bereich, Frau Strothmann, die Sie Präsidentin der Handwerkskammer Ostwestfalen-Lippe zu Bielefeld sind, wird über dieses Thema sehr intensiv diskutiert. Die Unternehmen haben zum Teil sehr begründete Ängste. Es ist daher richtig, dass wir der Entbürokratisierung bei bestimmten Verfahrensweisen zustimmen, aber nicht der Einführung von Prinzipien, die mit der Bolkestein-Richtlinie in ihrer originären Form vorgesehen waren. Denn diese führen dazu, dass Unternehmen, die sich an Regeln und Standards halten, unter Druck geraten. Das ist eine Form von Inländerdiskriminierung und damit eine sehr reale Gefahr.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Zuruf des Abg. Martin Zeil [FDP])

- Ich glaube, dass Sie sich die Berichte des Binnenmarktausschusses und der anderen Ausschüsse des EP sehr genau anschauen sollten, bevor Sie so etwas sagen. Auch wenn man Ausnahmen bildet, hat man nach wie vor ein gültiges Prinzip, mit dem wir uns auseinander setzen müssen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich sage ganz klar: Keine Aushöhlung von Arbeitnehmerrechten, keine Aushöhlung von Tarifautonomie, keine Verletzung des Tarifvertragsrechts und keine Absenkung von Standards. Ich füge hinzu: Die Proteste der Gewerkschaften gegen die vorliegende Fassung der Kommission und gegen bestimmte Aspekte, die in einzelnen Ausschüssen des Parlaments behandelt wurden, sind berechtigt. Ich will hier deutlich machen: Es geht darum, eine klare Aussage gegen die Aushöhlung der Daseinsvorsorge zu machen. Herr Kollege Meyer, vielleicht noch eine Ergänzung: Das Prinzip der Daseinsvorsorge ist nicht nur von allgemeinem Interesse, sondern aus unserer Sicht natürlich auch von wirtschaftlichem Interesse.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich hätte kein Verständnis dafür, wenn man etwa eine Abwasseranlage installieren will und es dafür noch nicht einmal eine Niederlassung in Deutschland gibt. Ich glaube, in der Diskussion haben sich die Dinge verschoben. Diese Entwicklung ist in Brüssel entstanden. Die PDS macht es sich wie immer relativ leicht und sagt: Wir sind dagegen. Wenn man in der Rolle der Totalverweigerung dagegen ist, kann man hinterher immer sagen, man habe das moralische Recht.

Ich glaube, das Gegenteil ist der Fall. Sie geraten in ein moralisches Unrecht, wenn das Herkunftslandprinzip durch EuGHUrteile dauerhaft bestätigt wird.

(Garrelt Duin [SPD]: Genau!)

An der Totalverweigerung, wie sie etwa im EP auf der einen Seite bei den Rechtspopulisten, zum Beispiel bei der Independence Party aus Großbritannien, und auf der anderen Seite bei den Linkspopulisten, also in Teilen Ihrer Fraktion, existiert, kann man sehen, dass das Gegenteil von gut nicht immer schlecht ist. Manches ist gut gemeint und in Ihrem Fall auch taktisch. Ich halte diese Position für höchst gefährlich. Über 30 beim EuGH anhängige Verfahren haben gute, brauchbare Anknüpfungspunkte, das Herkunftslandprinzip durchzusetzen. Deshalb ganz klar: Wir sollten zwischen dem Zugang zur und der Erbringung und Kontrolle der Leistung unterscheiden. Es kann nicht sein, dass die Erbringung nach Standards anderer Länder erfolgt und Unternehmen, die hier qualifiziert ausbilden und hohe Standards entwickelt haben - dies ist übrigens auch ein Wettbewerbsvorteil für den Standort Deutschland -, unter Druck kommen, weil sie mit unzulässiger Konkurrenz konfrontiert werden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Es gibt im Deutschen Bundestag nach den Beschlüssen vom 9. Juni des letzten Jahres eine klare Position.

(Ulla Lötzer [DIE LINKE]: Dann stimmen Sie unserem Antrag zu!)

Auch der Bundesrat hat immerhin mit einer 16 : 0-Entscheidung gegen das Herkunftslandprinzip votiert. Ich glaube, das ist eine Verpflichtung. Ich würde mich freuen, wenn wir bei der Abstimmung am 13. bzw. 14. Februar im Europäischen Parlament auch die Kollegen der EVP in Gänze dafür gewinnen könnten, unseren Vorschlägen zu folgen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Frau Gebhardt hat mit der Unterscheidung zwischen dem Zugang unter Anerkennung des Herkunftslandsprinzips und der Erbringung und Kontrolle nach den Standards des Ziellands einen wichtigen Anstoß für den Diskussionsprozess gegeben. Das entspricht der Intention des Koalitionsvertrages, also unserer gemeinsamen Position.

(Ulla Lötzer [DIE LINKE]: Das glaube ich!)

Insofern bin ich sehr zuversichtlich. Es wird sich eine Menge bewegen. Gleichzeitig sage ich aber auch: Wir sollten die Ängste der Menschen ernst nehmen. Die Proteste der Gewerkschaften sind begründet. Wir müssen alles Notwendige dafür tun, dass aus Ängsten keine Realitäten werden. Das können wir, wenn wir gemeinsam konsequent handeln. Dies dient dem Standort Deutschland. Für Europa ist eine europäische Harmonisierung die beste Lösung. Sie führt dazu, dass sich die Menschen nicht hinter Gräben verschanzen, sondern zusammenkommen

(Beifall des Abg. Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU])

und sagen: Wir wollen gemeinsame europäische Rechte entwickeln.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.