Kurt Bodewig Bundesminister a.D.

Europa in Bewegung - Über Dynamik und Wachstum in der Ostseeregion

13.12.2005

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident, sehr geehrte Mitglieder und Gäste der Parlamentarischen Gesellschaft, sehr verehrte Damen und Herren, gerne bin ich Ihrer freundlichen Einladung ins Kieler Landeshaus gefolgt.

Unzweifelhaft hat man unter allen Parlamentsgebäuden der deutschen Bundesländern von hier aus den schönsten und vor allem weitesten Ausblick. Und dieser Blick führt, neigt man den Kopf ein wenig nach links die Förde hinab, auf das größte Binnenmeer und eine der dynamischsten Wirtschaftsregionen Europas, die Ostsee.

Obwohl gerade auf dem Wasser keine wogenden Wellen zu erkennen sind, ist mein Thema heute die Dynamik des "Mare Balticums", die einerseits in ganz Europa, andererseits auch hier in Schleswig-Holstein für Bewegung sorgt. In meiner Eigenschaft als stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Angelegenheiten der Europäischen Union des Deutschen Bundestags und Vorsitzender des Vorstands des BALTIC SEA FORUM e.V., möchte ich Sie über die Ostsee als dynamische Subregion Europas informieren.

Dabei soll es einerseits um das wirtschaftliche Entwicklungs- und Wachstumspotenzial gehen und andererseits um die Strukturen einer europäischen Modellregion für internationale Kooperation und Koordination. Insbesondere werde ich hierbei die parlamentarische Komponente berücksichtigen.

Dass der bereits angesprochene Ausblick nicht nur pittoresk, sondern eng mit aktuellen wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Fragen und Projekten verknüpft ist, dafür steht auch das Programm "Vision Schleswig-Holstein". Im April diesen Jahres hatte ich für das BALTIC SEA FORUM die Gelegenheit, im Rahmen einer Veranstaltung in Flensburg zum Thema "Wirtschaftlicher Erfolg im alten und neuen Hanseraum" zu sprechen. In diesem Beitrag habe ich dargestellt, dass das Denken, Handeln und Bewegen in Netzen und Netzwerken aus der Tradition gelernte und bis heute herausragende Eigenschaften der Zusammenarbeit und des Austauschs in der Ostseeregion sind.

Als gemeinnützige Nicht-Regierungsorganisation trägt das BALTIC SEA FORUM bereits seit 1992 dazu bei, dass die Themen Zusammenarbeit und Intergration in Wirtschaft, Politik und Kultur nicht nur Lippenbekenntnisse bleiben, sondern eine aktive Kontakt-, Kommunikations- und Projektplattform bekommen.

Unter den zahlreichen Kooperationsgremien und Organisationen der Ostseeregion, seien sie zwischenstaatlicher oder zivilgesellschaftlicher Natur, versteht sich das BALTIC SEA FORUM als ein Netzwerk der Netzwerke. Insbesondere mit dem Blick für deutsche und norddeutsche Perspektiven, wollen wir den Überblick über regionale Themen, Strategien und Institutionen gewährleisten.

Unser Ziel ist es, Projekte und Partnern in gemeinsamen Aktivitäten zu konzentrieren um das Tempo von Wachstum und Entwicklung in der Region mitzugehen und vorzugeben. Ein wichtiges Instrument hierfür ist unsere Zeitschrift "baltic sea magazine”. Mit einer Auflage von 5.000 Expemplaren und bis zu 8.000 Lesern ist diese Publikation zu einer der international reichweitenstärksten der Ostsee avanciert. Als Einzige kombiniert sie die Themen Politik, Wirtschaft und Kultur im zeitgemäßen Layout moderner zweisprachiger Magazinformate.

Wichtige Wurzeln und aktuelle Aktivitäten vernetzter Strukturen in Handel, Mobilität, Kultur und internationaler Zusammenarbeit in der Ostsee liegen in Schlewig-Holstein. Fast nirgendwo sonst verbindet sich die sprichwörtliche norddeutsche Bodenständigkeit mit maritimen Weitblick.

Es gehört sicherlich zu den besonderen Eigenschaften der Bürgerinnen und Bürger des "Landes zwischen den Meeren" immer ein gutes Stück Gleichgewicht zwischen Visionen und Realität zu haben. Das Gleichgewicht alles andere als Stillstand bedeutet, zeigen die jüngsten Konjunkturzahlen für Schleswig-Holstein. Danach verläuft die wirtschaftliche Entwicklung im Norden Deutschlands in diesem Jahr besser als auf Bundesebene. So nahm das BIP in Schleswig-Holstein gegenüber dem Vorjahr um ein Prozent (1%) zu, wogegen der Bundesdurchschnitt nur bei null komma sechs Prozent (0,6%) lag.

Ausschlaggebend dafür sind vor allem außenwirtschaftliche Impulse und die sind nicht zuletzt eng mit der dynamischen wirtschaftlichen Entwicklung der Ostseeregion verknüpft. Dazu ein kurzes Beispiel: Als Folge eines Streiks der finnischen Papierindustrie war der Güterumschlag in den Häfen Kiel und Lübeck in den ersten sechs Monaten 2005 tendenziell rückläufig.

Zur insgesamt aber positiven Entwicklung trugen maßgeblich das Wachstum in der Industrie, im Handel und Verkehrssektor bei. Vor diesem Hintergrund ist die erst kürzlich von Ministerpräsident Peter Harry Carstensen und dem Ersten Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg Ole von Beust vertraglich besiegelte Vertiefung der norddeutschen Kooperation sicherlich eine Partnerschaft auf Augenhöhe.

Zwar hat Hamburg in der konjunkturellen Entwicklung und in mancherlei Standortfrage aufgrund seiner diversifizierten Wirtschaftsstruktur noch immer die Nase ein Stück vorn. Aber wenn es um neue wirtschaftliche Impulse und die Stärkung der Metropolregion innerhalb der Europäischen Union geht - Stichwort Hanse-Office - setzt die Hansestadt klar auf die ausgebaute und im Ausbau begriffene maritime und verkehrstechnische Infrastruktur Schleswig-Holsteins an der Ostseeküste und die intensive Präsenz des Landes innerhalb der Gremien der Ostseekooperation.

Handel, Wachstum und gelebte Integration, das sind die Merkmale, die die Ostsee als eine der Dynamischsten Europas auszeichnet. Zwar ist die Region mit ca. 90 Millionen Menschen und einem Anteil von gut neun Prozent des Weltbruttosozialprodukts im globalen Kontext ein überschaubarer Regionalmarkt. Aber: Durch das Zusammenwirken der etablierten Volkswirtschaften Skandinaviens und Deutschlands mit den Polen oder den "baltischen Tigern" Estland, Lettland und Litauen gibt eine Konstellation, die sich im Hinblick auf Innovation in Produkten und Dienstleistungen immer wieder gegenseitig befruchtet.

Besondere Impulse gehen nicht nur im Hinblick auf die Nachbarschaftspolitik der Europäischen Union, sondern auch wirtschaftlich von den Kontakten und der Kooperation mit der Russischen Föderation aus. Manche sprechen bei dieser rasanten und dynamischen Entwicklung sogar von einer Wachstumsrallye.

Das Potenzial zeigt der "Bericht zur Lage der Region 2005" von Christian H.M. Ketels (Institute for Strategy and Competitiveness der Harvard Business School, Boston/Stockholm), der letztes Jahr vorgestellt wurde. Dieser Bericht macht deutlich: die Ostseeregion entwickelt sich im Hinblick auf die Kriterien der Lissabon-Agenda überdurchschnittlich.

Die Region befindet sich unter den führenden Regionen im Bereich der Beschäftigung, der Umweltstandards und - der Innovation. Allerdings: der Bericht macht auch deutlich, dass die Region ihr Potenzial noch nicht voll ausgeschöpft hat. Das ist einerseits natürlich zu bedauern, andererseits lohnt es sich umso mehr, sich aktiv mit der Region zu befassen und das Potenzial weiter auszuschöpfen.

Weiterhin wird in dem Bericht angeregt, dass einer der Schlüsselvorteile der Ostseeregion seine gut ausgebildete Bevölkerung ist. Dazu gehören auch eine vergleichsweise hohe Anzahl an Forschern, wissenschaftlichen und technischen Arbeitern. Der Bericht schlägt aber gleichzeitig vor, eine verstärkte Analyse über Wissenstransfers und regionale Integrationsbarrieren vorzunehmen.

Darüber hinaus sollte ein System von Leistungsanreizen (incentive schemes) für studentischen Austausch und Forschungszusammenarbeit erstellt werden. Die Basis des wirtschaftlichen Erfolgs ist eine besondere Kombination aus Zusammenarbeit und Wettbewerb, die auf Austausch, Transfer und das Denken und Handeln in Netzwerken setzt.

Wundert es da einen, dass der weltweit führende Anbieter für Mobiltelefone aus Finnland kommt und das auf Transparenz und Integration basierende Betriebssystem Linux ebenfalls in der Region entwickelt wurden? Diese Beispiele zeigen, dass die weltweit einmalige Wettbewerbssituation hilft, Produkten und Dienstleistungen der Ostseeregion führende Positionen auf dem Weltmarkt zu verschaffen.

Zusammenarbeit und vernetzte Wirtschaftsaktivität gibt es aktuell in der Ostseeregion besonders in Handel, Transport, Verkehr und Infrastruktur. Beispielsweise prognostizieren führende Wirtschaftsinstitute, bis 2010 eine EU-weite Zunahme des Frachtaufkommens um 38 Prozent und des Passagieraufkommens um 24 Prozent. Die Ostsee entwickelt sich in diesem Zusammenhang noch dynamischer, denn hier wird sogar mit einer Verdoppelung des Güterverkehrs bis 2015 gerechnet. Daran wird der Standort Schleswig-Holstein mit seiner ausgebauten maritimen Infrastruktur in Kiel, Lübeck und Flensburg stark partizipieren. Die Auftragsbücher der schleswig-holsteinischen Werften sind bereits über 2006 hinaus gut gefüllt und im Passagierverkehr konnte der Hafen Kiel im vergangenen Jahr ein Plus von 25 Prozent verzeichnen.

Als weitere Sektoren mit guten Wachstumschancen gelten die Informationstechnologie, Telekommunikation sowie Bildung und Forschung. Gerade im diesem Bereich gehört Schleswig-Holstein mit dem zeitgemäßen Hochschulprogrammen in Kiel, Lübeck und Flensburg, wie zum Beispiel dem Baltic Sea Virtual Campus, zu den Innovationsträgern der Ostseeregion. Ein ebenfalls stark mit dem Begriff "Netzwerk" verbundener Bereich ist das gerade aktuelle Thema der Energiesicherheit.

Dass Deutschland auch in der Ostseeregion nach bilateralen Lösungen sucht, um eine kontinuierliche Energieversorgung zu gewährleisten, ist ein gleichzeitig nachvollziehbares nationales wie nachhaltiges Interesse. Der Technik sind bei solchen neuen Lösungen fast keine Grenzen mehr gesetzt. Das heißt, dass solche Projekte mittelfristig die Möglichkeit haben, weitere regionale Partner politisch, wirtschaftliche und technisch anzubinden.

Ein besonders kreatives Beispiel für die dynamische und vernetzte Wirtschaft und Arbeit in der Ostseeregion, ist das BALTIC SEA FORUM Mitglied "BALTIC DESIGN TRANSFER". Das Netzwerk ist als Public Private Partnership (PPP) organisiert und vereint Designer, Studenten, Marketingprofis und Wirtschaftsvertreter aus allen Staaten rund um die Ostsee.

Aus ihrer virtuellen Kommunikations- und Arbeitsplattform heraus entwickeln diese Kreativen neue Ideen und Designs für Produkte und Dienstleistungen. Der aktuelle Design-Zyklus unter dem Motto "Future Mobility" geht den Fragen nach, wie man sich in 2030 zwischen Ländern und Städten der Ostsee bewegt und wie wir unsere Arbeitsplätze erreichen werden.

Ein sehr praxisnahes Beispiel ist die Idee, Autofahrern beim überfahren einer Landesgrenze durch einen Infrarotschnittstelle Informationen zu Wirtschaft Politik und Kultur des jeweiligen Landes zugänglich zu machen. Ein Bordcomputer im Fahrzeug empfängt Daten wie Währungs- und Steuersätze, Wirtschaftssektoren, Branchenschwerpunkte, Name des Staatsoberhaupt oder führender Politiker, Sprachhilfen, Geschwindigkeitsbegrenzungen oder touristische oder administrative Anlaufstellen. Vor dem Hintergrund des von der Europäischen Union für 2006 ausgerufenen "European Year of Workers’ Mobility", stellt eine solche Idee einen kleinen, aber für den Einzelnen sehr anschaulichen Beitrag zur Transparenz europäischer Wirtschaft und Arbeitsmärkte und zum kulturellen und kommunikativen Austausch dar. Daher freut sich das BALTIC SEA FORUM dieses sehr konkrete Projekt zu unterstützen, zum Beispiel als Teil des Programms der IHK Kiel zu diesem Thema im kommenden Jahr.

Meine Damen und Herren, ich hoffe, es wird Ihnen deutlich, dass wir als BALTIC SEA FORUM in unseren Zielen und Aktivitäten gerne dynamisches Handeln und gemeinsame "Schwimmversuche" von Wirtschaft, Politik und Wissenschaft fördern.

Daher ist klar, dass bei uns das Thema "Meeresautobahn" - also die regionale Umsetzung des EU-Projekts "Motorways of the Sea" - in einem besonderen Fokus steht. Bereits im September 2003 hat das BALTIC SEA FORUM zu diesem Thema mit der Landesregierung zusammengearbeitet.

Gemeinsam mit dem damaligen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr haben wir eine Konferenz über die Chancen und Strukturen von Public Private Partnership Projekten im Rahmen von "Motorways of the Sea" Programmen veranstaltet. Nicht zuletzt der Informationsaustausch auf solchen Foren hat dazu beigetragen, dass die Ostseeregion aus EU-Sicht der am weitesten entwickelte aller vier Meeresautobahn-Korridore in Europa ist.

Da unsere bisherigen Planungen einen positiven Verlauf nehmen, sind wir zuversichtlich, im Sommer kommenden Jahres hier in Kiel wieder Partner der maritimen Wirtschaft und öffentliche Institutionen zusammenzubringen. Wir freuen uns besonders, dass unsere Initiative sowohl auf Seiten der EU-Kommission, als auch auf Seiten der Landesregierung ein konstruktives Echo gefunden hat.

Das Thema "Public Private Partnership" wird auch dieses Mal auf der Agenda stehen und das aus gutem Grund. Wie das BALTIC SEA FORUM, neben anderen, mehrfach hingewiesen hat, ist bisher nur ein einziger Projektvorschlag aus Deutschland für die auf 2007 bis 2013 datierten Förderbudgets für "Motorways of the Sea" gekommen.

Fünf weitere Projekte sind in Planung. Das BALTIC SEA FORUM ist aber nicht nur im Bereich der Wirtschaftsbeziehungen aktiv. Die 15 Standorte, drei aktive und ehemalige Staatspräsidenten, neun Ministerpräsidenten und Minister, 120 Mitglieder, Partner und Institutionen vereinen viele Interessen aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Kultur. Als Netzwerk der Netzwerke ist unsere Nicht-Regierungsorganisation integrierter Bestandteil der internationalen Gremienarbeit der über 40 internationalen Organisationen rund um die Ostsee.

Im zurückliegenden Jahr konnten wir unsere programmatische Position unter anderem durch die Teilnahme an der 13. Ministerratssitzung des Ostseerats in Stettin oder der 8. Jaheskonferenz der Union of the Baltic Cities in Turku verankern.

Hervorheben möchte ich an dieser Stelle unsere Teilnahme an der 14. Jahrestagung der Ostseeparlamentarierkonferenz (BSPC), als wichtigstes Gremium der inter-parlamentarischen Zusammenarbeit in der Ostseeregion. Die Veranstaltung fand auf Einladung des litauischen Parlaments vom 29. bis 30. August 2005 in Vilnius statt. Das Motto der Konferenz war: "Gemeinsame Anliegen und Verantwortung für Stabilität und Demokratie im Ostseeraum". Die Vertreter nationaler und regionaler Parlamente der Ostseeanrainer, des Nordischen Rats, der Baltischen Versammlung und des Europäischen Parlaments sowie weiterer zwischenstaatlicher und zivilgesellschaftlicher Organisationen diskutierten unter anderem über die Themen: "Die parlamentarische Dimension der Ostsee-Zusammenarbeit", "Stabilität und Demokratie im Ostseeraum" sowie "Entwicklung der Infrastruktur der Region".

Zur Frage des Beitrags der Ostseeregion zur Nachbarschaftspolitik der Europäischen Union bezog das BALTIC SEA FORUM eine klare Position. Vor einer nächsten Erweiterung der EU müsse eine weitere Konsolidierung für wirtschaftliche Stabilität sorgen. In der Ostseeregion gibt es hierfür weitreichende Aktivitäten mit Impulsen in die Zivilgesellschaft. Dazu zählen Universitätsnetzwerke genauso wie Infrastrukturansätze wie "Motorways of the Sea", die das BALTIC SEA FORUM, wie bereits geschildert aktiv fördert.

Nicht nur aufgrund der parlamentarischen Komponenten stellt sich aus Sicht des BALTIC SEA FORUMs die Ostsee als eine Modellregion der internationalen Zusammenarbeit und Koordination dar. Kooperationen haben in der Ostseeregion vor allem durch die skandinavischen Staaten eine starke politische Tradition.

In den vergangenen 15 Jahren seit Ende des Kalten Krieges hat sich die Zusammenarbeit zwischen den etablierten Staaten Nord- und Westeuropas mit den jungen Demokratien Ost- und Nordosteuropas als beispielhaft erwiesen. Der friedliche und sozial gerechte Verlauf der Transformationsprozesse der Region wird als "Balternasation" bezeichnet.

Dieser Begriff, der als Abgrenzung zur divergierenden und gewalttätigen Entwicklung auf dem Balkan gemeint ist, anerkennt nicht zuletzt die zwei klaren strategischen Zielsetzungen der neuen Transmissionsstaaten Mittel- und Osteuropas.

In einem ersten Schritt strebten diese Staaten aus sicherheitspolitischer Priorität nach der Mitgliedschaft in der NATO. Im zweiten Schritt ging es um die wirtschaftliche Integration in die Europäische Union. Trotz des phänomenalen Tempos, ist es den politischen Entscheidungsträgern immer gelungen, die Menschen mitzunehmen. Reist man heute durch die baltischen Staaten, trifft man auf eine außerordentliche Europabegeisterung und einen großen Optimismus. Selbst kritische Themen wie aktuell die Einführung des EURO finden eine stabile Zustimmung in der Bevölkerung.

Kennzeichnend für die besondere Dynamik in politischen Hinsicht ist, dass die multilaterale Zusammenarbeit zwischen Ostseeanrainern nicht nur die Ebene der Nationalstaaten, sondern auch die Ebene der Regionen umfasst. Das heißt, dass wirtschaftliche, politische, kulturelle und administrative Zusammenarbeit in der Ostsee vielfach zwischen Teilregionen und Kommunen stattfindet.

Nicht zuletzt deshalb ist es ein besonderes Merkmal der Region, dass staatliche Stellen immer wieder Impulse aus der Zivilgesellschaft aufgreiffen und diese wieder zurückgeben. Paradoxer Weise ist gerade aufgrund dieser erfolgreichen und friedlichen Entwicklung in den letzten 15 Jahren seit Ende des Kalten Krieges die Ostseeregion bei der EU und in der Weltpresse ein wenig ins Hintertreffen geraten.

Hier ist es wieder einer parlamentarischen Initiative zu verdanken, dass sich diese Situation ändern und die Ostsee wieder auf die europäische Agenda gesetzt wird. Ergebnis dieser Initiative ist das Positionspapier "Europas Strategie für die Ostseeregion". Dieses Memorandum wurde am 15. November 2005 von den in der "Baltic Europe Intergroup" zusammen geschlossenen Mitgliedern des Europäischen Parlaments dem Präsidenten der Europäischen Kommission José Manuel BARROSO in Straßburg übergeben.

Zwei wesentliche Zielsetzungen werden hier formuliert. Erstens soll die umweltpolitische Komponente der Ostseekooperation gestärkt und weitere Anregungen für Handel, Investitionen und Infrastruktur sowie die Erleichterung des grenzübergreifenden Verkehrs von Menschen und Gütern bei gleichzeitig enger Zusammenarbeit bei der Bekämpfung des organisierten Verbrechens geschaffen werden. Zweitens soll die Region zum Pilotmodell der vier gemeinsamen Räume zwischen der EU und Russland werden.

Der Zeitpunkt dieser Initiative ist gut, denn die Komplexität der Organisationen und Gremien und die thematische Vielfalt macht einen Überblick und eine sinnvolle Systematisierung schwierig. Besonders in Deutschland gibt es hier einige Defizite.

Entwickelt sich diese Situation in der bisherigen dynamischen Art und Weise weiter, besteht die Gefahr, dass aus der Stärke der regionalen Zusammenarbeit allmählich die Schwäche des Regionalismus wird. Entsprechende übergeordnete politische Ansätze können nur von der EU kommen.

Ich bin davon überzeugt, dass auch hierbei den regionalen und nationalen Parlamenten eine wichtige Rolle zukommen wird. Unerläßlich hierfür ist die weitere Verbesserung der Kommunikation und Kooperation zwischen den verschiedenen Ebenen der parlamentarischen Arbeit, in der Ostsee, wie in ganz Europa.

Erst im Oktober 2005 haben wir diese Zielsetzung auf der 34. Sitzung der "Vereinigung der Ausschüsse für Europaangelegenheiten der Mitglieder der Europäischen Union" (Cosac) in London erneut diskutiert und entsprechende Maßnahmen beschlossen. Konkret geht es um den Aufbau eines gemeinsamen Informationssystems und Kooperationsnetzwerks zwischen den Parlamenten der EU-Mitglieder dem sogenannten "ipex" - inter-parlamentarian exchange programme. Ein solches System hätte sicherlich auch positive Effekte auf die Arbeit der in der Ostseeparlamentarierkonferenz (BSPC) zusammengeschlossenen Institutionen.

Lassen Sie mich abschließend noch einen kurzen Ausblick machen, welche Faktoren die politische Dynamik der Ostseeregion weiter bestimmen werden.

Ich gehe davon aus, dass sich die Ratspräsidentschaft Finnlands im zweiten Halbjahr 2006 positiv sowohl auf die Umsetzung des erwähnten Strategiepapiers der "Baltic Europe Intergroup" auf Ebene der EU, als auch auf die der Cosac-Initiative in den Ostseeanrainerstaaten auswirken wird.

Gemeinsam mit der EU wird es aber weiterhin zivilgesellschaftlichen Netzwerken wie dem BALTIC SEA FORUM zukommen, ihren Mitgliedern und Partnern eine genauen und transparenten Überblick über Prozesse, Strukturen und Entwicklungschancen zu geben.

So werden die vielfältigen Interessen zwischen Wirtschaft, Politik und Wissenschaft in gemeinsamen Projekten gebündelt und so die besondere Form des Miteinanders von Zusammenarbeit und Wettbewerb als Kernmerkmal der Ostseeregion weiter gestärkt. Diese Stärken halten Europa unserer Ansicht nach nicht nur in Bewegung, sondern weisen auch in die richtige Richtung, um wirtschaftliches Wachstum und soziale Entwicklung in der Ostseeregion im Gleichgewicht zu halten und das "Mare Balticum" zu einer der führenden Subregionen Europas zu machen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.